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Neues Verjährungsrecht im Obligationenrecht – das Wichtigste in Kürze

Am 1. Januar 2020 tritt nach unbenutztem Ablauf der Referendumsfrist das revidierte Verjährungsrecht in Kraft. Das in der Öffentlichkeit breit und emotionsgeladen debattierte Gesetzesprojekt nahm über ein Jahrzehnt in Anspruch. Die Diskussion war unter anderem deshalb ausgelöst worden, weil bei zahlreichen Asbestgeschädigten, deren asbestbedingte Krankheit oft erst viele Jahre nach dem schädigenden Ereignis ausbrach, die Verjährung bereits eingetreten war. Die unbefriedigende Rechtslage fand Einzug in viele Medienberichterstattungen und führte schliesslich zur Verurteilung der Schweiz durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren gemäss Art. 6 Abs. 1 EMRK (Urteil des EGMR vom 11. März 2014, Howald Moor gegen Schweiz, Beschwerde Nr. 52067/10 und 41072/11).

Das Gesetz kennt eine relative sowie eine absolute Verjährungsfrist. Die relative Frist ist subjektiv bestimmt. Die Frist beginnt erst ab Kenntnis des Schadens und des Schädigers zu laufen. Die absolute Frist ist demgegenüber objektiv bestimmt und beginnt bereits mit dem schädigenden Verhalten bzw. deren Ende. Ist die absolute Frist bereits verstrichen, ist der Anspruch verjährt, unabhängig davon, ob die relative Frist überhaupt schon zu laufen begonnen hat.

Bisher betrug die relative Verjährungsfrist der Deliktshaftung ein Jahr (Art. 60 OR). Diese Frist wurde im Zuge der Revision neu auf drei Jahre ausgedehnt. Die absolute Verjährungsfrist dauert grundsätzlich unverändert zehn Jahre. Bei Personenschäden, d.h. bei Tötung eines Menschen oder Körperverletzung, wird sie neuerdings auf zwanzig Jahre verlängert. Die absolute Verjährungsfrist beginnt allerdings weiterhin im Zeitpunkt der Pflichtverletzung (resp. an dem Tag an dem das schädigende Verhalten aufhörte, was nunmehr im Gesetzestext klargestellt wurde) und nicht etwa im Zeitpunkt des erkennbaren Schadenseintritts. Dies bedeutet, dass eine Schadenersatzforderung also auch nach der Neuregelung bereits verjährt sein kann, noch bevor der Schaden überhaupt in Erscheinung tritt. Ob die Revision mit Blick auf die Opfer von Langzeitschäden wie beispielsweise Asbestgeschädigte genügt, erscheint daher fraglich.

Anfang November 2019 fällte das Bundesgericht gleich in zwei Asbestfällen, welche zuvor während mehr als vier Jahren – bis zum Entscheid der eidgenössischen Räte zur Änderung des Verjährungsrechts – sistiert gewesen waren, einen Entscheid. Im ersten Fall (BGer 4A_299/2013 vom 6. November 2019) wurde die Beschwerde teilweise gutgeheissen und zur Fortführung des Verfahrens an die Vorinstanz zurückgewiesen. Das Bundesgericht erwog im Wesentlichen, dass bei wiederholtem oder andauerndem schädigendem Verhalten der Tag, an dem dieses Verhalten aufhöre, für den Beginn des Fristenlaufs massgebend sei. Im Gegensatz zum bisherigen hält das neue Verjährungsrecht diese Regel nun explizit fest (Art. 60 Abs. 1bis OR bzw. Art. 128a OR). Im zweiten Fall (BGer 4A_554/2013 vom 6. November 2019) wies das Bundesgericht die Beschwerde von Erben eines Asbestopfers auf Genugtuungsansprüche mit der Begründung ab, es sei verhältnismässig, einen Anspruch, der erst 37 Jahre nach der letzten möglichen Schädigung geltend gemacht werde, als verjährt zu betrachten. Der letztgenannte Fall zeigt exemplarisch, dass die stossende Rechtslage bei sogenannten Langzeitschäden auch nach der Gesetzesrevision in vielen Fällen weiterhin bestehen bleiben wird.

Der Bereicherungsanspruch (Art. 67 Abs. 1 OR) verjährt neu ebenfalls mit Ablauf von drei Jahren, statt wie bisher einem Jahr, ab Kenntnis des Anspruchs durch den Berechtigten (relative Verjährungsfrist). Die absolute Frist von zehn Jahren bleibt unverändert und wurde nicht wie beim Delikts- oder Vertragsrecht verlängert, da keine Bereicherungsansprüche aus Personenschäden denkbar sind.

Die allgemeinen Verjährungsfristen bei Vertragshaftung (Art. 127, 128 und 130 OR) bleiben unverändert und werden von der Revision nicht tangiert. Für Forderungen aus vertragswidriger Körperverletzung oder Tötung eines Menschen wird allerdings zukünftig eine relative von drei und eine absolute Verjährungsfrist von zwanzig Jahren eingeführt (Art. 128a OR).

Als Übergangsregelung gilt Folgendes: Sieht das revidierte Recht eine längere Frist vor als das bisherige, gilt das neue Recht. Zu einer solchen Verlängerung der Frist kommt es aber nur, wenn die bisherige Verjährungsfrist im Zeitpunkt des Inkrafttretens noch nicht abgelaufen ist (Art. 49 SchlT ZGB).

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Dieser Beitrag wurde geschrieben von

Chiara Pignatelli

Chiara Pignatelli

lic. iur., Rechtsanwältin

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